Dienstag, 8. Oktober 2013
Die Wahrheit
Nach etwas längerer Zeit kommt jetzt auch mal wieder ein Update auf Deutsch. Ich hab mich hier gut eingelebt, größere Katastrophen sind bis jetzt ausgeblieben, ich wurde weder überfallen noch ausgeraubt, nicht einmal einen Taschendiebstahl hatte ich zu verzeichnen.o
Die Arbeit entwickelt sich langsam aber sicher, ich bin jetzt offiziell Rechte Hand im Speaking Club und das nächste Projekt ist auch schon in Planung.
Letzte Woche ist mit Gustav, einem estnischen EVS-Freiwilligen Verstärkung angekommen, und auch ausreichend Tische sind jetzt vorhanden. Meine Chefin Anna ist diese Woche auf einem Seminar in Georgien, somit tragen wir jetzt die Verantwortung für das Büro, und ich bin recht froh darüber, dass Gustav Russisch spricht.
Obwohl ich nun ja schon die Stadt etwas kennen gelernt habe, bin ich immer wieder überrascht wie vielfältig sie ist. Steht man in einem Moment noch an einer viel befahrenen Straße, an der sich Hummer und Bentleys an verbeulten Ladas vorbeidrängeln, ist man keine 100 Meter weiter in einem Park, der so still und grün ist, dass man bei dem Gedanken daran, dass man sich immer noch in einer ex-sowjetischen Industriestadt befindet, den Kopf schütteln möchte. Diese Stadt hat viele Gesichter, die oft wie nahezu unvereinbare Wiedersprüche erscheinen, von den Ukrainern allerdings achselzuckend hingenommen werden.
Unser Mittagessen holen wir hier meistens beim Supermarkt Bum, der Pizza, Sushi und Cola verkauft und dessen Plakate rote Sterne zieren. Auf dem Rückweg haben wir uns heute eine Komsomolskaja Prawda gekauft, in der die immer noch Biographien von Stalin abgedruckt werden, als hätte es die Perestroika nie gegeben, und wenn man dann aus dem Fenster über die rauchenden Schlote der Stahlwerke schaut, wird einem klar das die Sowjetunion hier noch nicht so vollkommen der Vergangenheit angehört...


Für all jene die der Russischen Sprache mächtig sind, ist hier auch noch ein Interview mit mir: http://thevoice.com.ua/society/40-немецкое-mnenie-о-donecke
Alle andern: auch einfach mal draufklicken, wenn wir mehr Klicks bekommen dürfen wir nochmal was auf der Seite schreiben.



Mittwoch, 18. September 2013
Der Deutschclub
Diesen Samstag durfte ich meine Organisation das erste Mal in der Öffentlichkeit präsentieren, da ich als „Überraschungsgast“ bei einem Sprachklub des Deutschen Lesesaals an der Universität hier eingeladen war. Dort treffen sich regelmäßig Ukrainer, die aus verschiedensten Gründen Deutsch lernen um sich auf Deutsch zu unterhalten. Zwar besteht die Gruppe größtenteils aus Studenten, doch auch eine Ärztin und ein Rentner, der so die Sprache seines deutschen Schwiegersohns erlernt, sind unter den Teilnehmern. Die Gruppe wurde 2012 von der Studentin Elena Fomenko ins Leben gerufen.
Hier sollte ich das „Weltwärts“-Programm, meine ukrainische Arbeit bei der Ukrainian Association for Youth Cooperation "Alternative-V", und meine Heimatstadt Werl vorstellen. Auf Deutsch, zu meinem Glück, da sich meine Russischkentnisse noch etwa auf dem Niveau eines unbegabten Dreijährigen befinden.
Bei der letzten Präsentation stand ich allerdings vor einem Problem. Nach dem ich die Präsentation erstellt hatte, sagte mir meine Chefin: „Soweit ganz gut, aber dass sind alles junge Leute, schreib doch noch rein wo ihr Spaß habt, wo kann man feiern, was für Clubs habt ihr?“. Naja, Feiern, Spaß und Klubs in Werl? Statt dessen habe ich eine kurze Einführung über westfälische Mentalität vorbereitet, in der Spaß nicht die höchste Priorität ist. Auch ein Schützenfest hat zu viele scharfe Waffen, um tatsächlich als vollkommen unseriös durchzugehen.
Als ich am Samstagmittag dann vor der Gruppe stand, war froh über die freundliche, offene Atmosphäre die dort herrschte. Es wurde gelacht und viele Fragen gestellt, auch wenn meine Erklärung, was genau Möpkenbrot sei, die Ukrainer hier vielleicht nich besonders für die deutsche Küche begeistert hat.
Anschließend erzählten die Gruppenmitglieder noch etwas von sich (natürlich auf Deutsch) und wir schauten den Kurzfilm „Joshua“ von Dani Levy, der auch für mich als Muttersprachler nicht so ganz einfach zu verstehen war. Zum Abschluss ging es dann in ein Lemberger Café, wo neben hervorragendem Wiener Kaffee auch extrem leckere Pralinen und Schokoladenkuchen im Angebot waren.



Mittwoch, 11. September 2013
Hockey, Mashrutkas und Heuschreckenastronauten
Die erste Woche hab ich mittlerweile hinter mir, der Kulturschock ist immer noch zu verkraften, da ich mich in Deutschland mithilfe von Borschtsch und Wodka zu mindest in diese Richtung vorbereiten konnte.
Schon diese Woche habe ich soviel erlebt, das alles en detail hier aufzuschreiben wohl zu viel des Guten wäre, sodass ich nur ein paar Ereignisse beschränken werde.
Die letzte Woche konnte ich mich entspannt ein bisschen einleben, da die Arbeit erst diesen Montag begann. Ich konnte die nähere Umgebung meiner Wohnung und die Stadt ein bisschen in Begleitung meiner ukrainischen Kollegin Anna erkunden.
In den Wohnvierteln hier gibt es Parks, die im Sommerhalbjahr einem Rummelplatz gleichen, auf dem man Bier trinken oder mit Luftgewehr-AKs auf Bierdosen ballern kann.
Am Freitag gings dann zum Eishockey, HC Donbass gegen Slovan Bratislava (DonBass hat natürlich gewonnen). Die Tickets dafür gab es umsonst, organisiert von einer ukrainischen Freundin, die Fähigkeit für sowas scheint hier ebenso hilfreich wie weit verbreitet zu sein.
Den Tag darauf war ich bei einem Konzert einer lokalen PostMetal-Gruppe auf dem ehemaligen Fabrikgelände "Isolaziya", das in ein großes Kunstprojekt umgewandelt wurde. In den Hallen und Büros sind jetzt wechselnde Kunstinstallationen, vor allem moderne Kunst á la "Was wäre wenn die Menschen Heuschrecken zu Astronauten ausgebildet hätten?", ziemlich abgespacester Kram aber interessant in der Umsetzung und insbesondere im Ambiente der verfallen Fabrik.
Hin und Her kommt man hier am besten mit Maschrutkas, einem Fortbewegungsmittel das überall in der Ex-UdSSR zu finden ist. Maschrutkas sind private, meistens gelbe Kleinbusse, mit denen man für umgerechnet 20 Cent durch die ganze Stadt kommt. Diese Busse stammen oft auch noch aus der Sowjetzeit, und ich vermute ein Blick unter die Motorhaube würde jeden deutschen TÜV-Angestellten wochenlange Albträume bescheren.

Am Montag begann dann meine Arbeit bei der ukrainischen NGO "Alternative-V", die hier für die Durchführung von EVS- und anderen Projekten zuständig ist. Noch besteht meine Arbeit eigentlich nur aus Bürokram, allerdings nur bis wieder konkrete Projekte anlaufen. Im Büro sind wir im Moment nur zu zweit, jedoch bekommen wir im Oktober Verstärkung durch einen weiteren Freiwilligen.



Der Erste Tag
Als ich den Entschluss gefasst hatte, für ein Jahr in die Ukraine zu gehen, um hier einen freiwilligen Weltwärts-Dienst zu machen, wurde ich erst einmal schräg angeguckt. "Was willste denn da?" war so ziemlich die häufigste Frage, die ich im letzten halben Jahr gehört habe. Kriminalität, Korruption, Krankheiten und viele andere schlimme Sachen, die oft, aber nicht immer mit K anfangen, prägen ja das Bild, dass man in Deutschland so von Osteuropa hat. Wenn das aber alles wäre, was es hier so gibt würde ja keiner mehr leben hier, sodass ich mich entschlossen hab, mal am eigenen Leib zu erfahren, wie das Leben hier so ist.
Erster Eindruck nach der Landung: Flughäfen sind halt Flughäfen, ganz egal wo man hinkommt.
Zweiter Eindruck auf der Fahrt vom Flughafen zu dem Ort, der für die nächsten 363 Tage mein Zuhause sein sollte: Es ist gesellschaftlich offenbar anerkannt, zwei Fahrstreifen gleichzeitig zu benutzen.
Die Stadt an sich, dass ließ sich schon auf der Fahrt erkennen und bestätigt sich egal wo man hier hin kommt, ist trotz der rauchenden Schlote am Horizont und Sowjetwohnblöcken grün. Überall Bäume und zig Parks, die allerdings die auch die eine oder andere bröckelnde Fassade verbergen.
Natürlich ist das Erste was mich nach meiner Ankunft erwartet Essen. Da ich bei einer älteren ukrainischen Dame unterkomme, wird mir schnell klar, dass ich in diesem Jahr auf jeden Fall nicht abnehmen werde.
Abends gehts dann in die Innenstadt, wo wir mit Hilfe einer mir unverständlichen App fürs Smartphone zuerst umsonst Krimsekt trinken und dann eine rumänische Kneipe/Restaurant/Karaoke- und Shishabar namen "Bukarest" besuchen, in der angetrunkene Menschen russische Schlager interpretieren. Interessant, zumindest. Was vom ersten Tag auf jeden Fall hängen bleibt: Ukrainer sind ausgesprochen gastfreundlich, auch wenn ich noch einige Kommunikationsprobleme habe. Zumindest die jungen Leute die ich bis jetzt kennen gelernt habe, sprechen allerdings größtenteils wirklich gut englisch.